Der Weg in die Freiheit
Der Bestatter fährt mit seinem großen, tiefschwarzen Gefährt durch die Sicherheitsvorkehrungen in den Hof hinein; dabei gibt er keine Acht, ob die Grünflächen beschädigt werden. Eine Hälfte des Leichenwagens bewegt sich auf dem Kiesweg, die andere auf dem Gras. Mit einem Tinnitus verursachenden Jaulen wird es abgeschaltet und ein falkennasiger, junger Mann steigt aus der Fahrertür aus.
Er umrundet seine Mobilität und zieht eine Liege heraus. Während er diese vor sich herschiebt, kommt ihm schon der Abteilungsleiter der verschiedenen Betreuer entgegen. Insgesamt schildert er ohne große Mimik und Gestik, ganz rational das Geschehen: Eine Überdosis Gänseblümchen. Jemand hat den Tod gewählt, eine von zwei Möglichkeiten, in die Freiheit zu gelangen. Die andere Option ist ein Ausweis zur Freistellung. Ha, guter Witz. Witz des Jahrhunderts. Ich habe noch nie so viel gelacht! Manche würden mein Lachen auf die Hysterie schieben, aber ich lache herzhaft über die Dummheit des Personals. Sie wissen nichts von den Gewalttaten, dem Drogenmissbrauch oder den Vergewaltigungen, sie können nur erahnen, wie tief solche Taten unter den Insassen verbreitet sind.
Die Männer gehen in Richtung Eingangstor, wo sie ihre Karte in die Kamera halten und den Fingerabdruck überprüfen. Als alle Sicherungen des Gebäudekomplexes überwunden sind, wird die Tür geöffnet und sie treten in die Anstalt hinein, nur mit dem Unterschied, dass sie wieder heraus können. Ich höre das Quietschen der Liege im Flur. Ist wohl einer von meiner Abteilung, einer von der "gefährlichen" Sorte. Hoffentlich hat er es jetzt schöner als hier. Eine Stunde später höre ich wieder das bereits bekannte Quietschen der Trage. Die Leiche desinfiziert, beziehungsweise gesäubert und angezogen, wird in den kleinen Lastwagen-ähnlichen Wagen geschoben und zum Friedhof gebracht. Jedoch werden die meisten dort verbrannt und die Asche in ein Erdloch gefüllt, weil die Familie kein Geld für einen solchen Fall besitzt oder für uns Jämmerlichen keinen Cent ausgeben mag.
Erst durch den Tod sieht man das wahre Gesicht eines Menschen. Da kann man froh sein, dass man keine Familie hat, die sich rührend um einen kümmert. Sie haben mir mein Erspartes und hart erarbeitetes Geld genommen, dafür haben sie aber von mir einen Fahrtschein in die Hölle bekommen. Wenigstens etwas. Als ich in die achte Klinik gekommen bin, hatte ich kein Geld mehr, weil die Menschen, denen ich am meisten vertraut habe, davon in den Urlaub gefahren sind und meine Abwesenheit mit Saus und Braus gefeiert haben.
Aber sie sind nie auf Teneriffa angekommen, denn das Flugzeug ist vorher, unglücklicherweise, abgestürzt. Das Läuten der Klingel reißt mich aus der Erinnerung an meine Erzeuger und lässt mich aufschauen. Anscheinend ist Filmzeit angesagt. Man will die Patienten ja schließlich nicht ganz verkümmern lassen, weshalb jede Abteilung einmal wöchentlich einen Propaganda-Film über die Klinken und Betreuungen ansehen darf. Nicht wirklich produktiv, trotzdem werden mache davon manipuliert und sind stolz, die Welt von sich selbst befreien zu können. Ich bin auch stolz darauf, aber im anderen Sinne. Ich bin stolz darauf, dass ich Ruhe vor den Menschen außerhalb habe.
Obwohl ich gerne nach draußen möchte. Ein innerer Zwiespalt, bei welchem schlussendlich das Freiheitsgefühl siegt. Freiheit ist unbeschreiblich wichtig für mich, erst dann kann ich nämlich meine vielfältige Persönlichkeit entfalten.
Ich drücke die Türklinke nach unten und trete in den Gang. Ich bin wohl eine der Letzten, da sich nur noch drei weitere im Flur aufhalten. Ich muss mich beeilen, sonst werde ich ausgeschlossen und darf meinen restlichen Tag mit lästigem Herumlungern verbringen. Schnellen Schrittes begebe ich mich zum Media-Raum und setze mich auf einen der hintersten Stühle. Die Vorderen sind alle schon besetzt und mir bleibt nichts anderes übrig, als mich mit den alten Klappstühlen zufrieden zu geben. Während sich noch die letzte Reihe langsam füllt, wo auch ich meinen Sitzplatz habe, wird die Tür bereits geschlossen. Die Insassen, welche ein paar Sekunden zu spät gekommen sind, haben Pech gehabt.
Wie immer in solchen grotesken Momenten denke ich an das Gesetz von Charles Darwin, meinem Lieblingsforscher. So absurd es auch ist, ich glaube an das Naturgesetz, es ist das Einzige, was mich am Leben hält.
Die Betreuer, von denen außerdem ein Teil für die Manipulation zuständig ist, bedienen den Projektor und ein Kreuz erscheint auf der Leinwand. Wollen sie uns jetzt missionieren? Gott möge uns beistehen. Er steht für die Wahrheit und das Gute in der Welt, nicht für Betrug und Böses. An ihn kann man sich wenden, wenn man sich einsam fühlt. Nicht, dass ich besonders katholisch oder religiös bin, ich rezitiere hier einfach nur die Worte eines Pfarrers. Über Sinn oder Sinnlosigkeit kann man sich streiten.
Ein Timer erscheint und zählt für alle sichtbar von zehn auf eins. Die Spannung wächst - nicht.
Der Ton schaltet sich ein und Gänsehaut bildet sich auf meiner Haut, während ich den schrillen, quietschenden Tönen lausche. Ein Genuss für jeden Tauben, er würde danach bestimmt wieder hören können. Überall Leichen, wohin man auf der Leinwand schaut, kein Plätzchen ohne Verstümmeltes. Fast schon Ekel erregend. Aber so sieht anscheinend die Welt mit uns aus. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man darauf kommt, wir wären kaltblütige Bestien. Rote Blutlachen erstrecken sich über die weiße Wand aus Plastik und ich verstehe den Grund, wieso so etwas Abscheuliches produziert wird. Sie wollen uns mit den Taten einschüchtern und uns so vom weiteren Quälen und Töten abhalten. Wie auch immer sie diese scheinbar echt wirkenden Effekte gemacht haben, es wirkt nicht.
Eher sehen wir uns im Täter wieder gespiegelt, der seine Opfer auf grausame und blutige Art und Weise zu Tode quält. Heimlich lächle ich hinter meinem Haarvorhang, damit es kein anderer zu sehen bekommt. Der weitere Verlauf des Films ist absolut unrealistisch, da wir als Menschen ohne Gefühle abgestempelt werden. Schwachsinn! Jedes Lebewesen hat Gefühle entsprechend seines Charakters, mehr oder weniger ausgeprägt. Verschwiegen und introvertiert ist besser als vorlaut und redselig.
Nach dem wöchentlichen Fernsehkonsum dürfen wir uns noch eine halbstündige Rede anhören, die einzig und allein aus purer Langeweile besteht. Verstohlen blicke ich aus halb geschlossenen Augen zu den anderen Patienten inklusive meinen sogenannten Freunden. Alle gähnen um die Wette und sehen so aus, als würden sie gleich einschlafen. Jedoch können sie sich nicht dieser Versuchung hingeben, da die jeweiligen Schläfer deswegen auf jeden Fall zur Rechenschaft gezogen werden würden.Endlich werden wir von dieser kleinen Ewigkeit entlassen und können uns dem Abendessen widmen.
Dort geselle ich mich, freiwillig oder eben auch nicht, zu meinen Mitinsassen. Heute herrscht viel mehr Rededrang als sonst, der sich durch die höhere Lautstärke im Raum bemerkbar macht. Außer mir öffnet und schließt jeder seinen Mund, um etwas preiszugeben. Sogar Beth, das stille Wasser, ist heute besonders redselig. Aber stille Wasser sind bekanntlich tief. "Der Vortrag war so langweilig, wie noch nie. Beinahe hätte ich mir gewünscht an der Stelle des Opfers zu sein. Jedoch nur beinahe. Dann wäre wenigstens ein wenig Action gewesen."
Luca sieht Beth mit einem seltsamen Blick an, nachdem sie ihren letzten Satz beendet hat. "Ich hätte gemeint, du wärst froh zu Leben, schließlich hast du jemanden umgebracht", äußert er eine Vermutung. "Ja, natürlich bin ich froh auf der Welt zu sein! Dennoch bin ich mir nicht mehr im Klaren, ob es nicht doch besser wäre, aufzugeben."
Gespielt geschockt suche ich den Augenkontakt zu ihr, um einen Hauch von Mitgefühl zu zeigen. Einfacher gesagt als getan. Ich bin schon etwas aus der Übung, was solche Dinge angeht, man brauchte es ja auch sonst nicht im Leben. Schließlich bekommt man Mitleid geschenkt, aber Neid muss man sich verdienen. Da ich noch nie jemandem etwas geschenkt habe, erwarte ich keine Reaktion auf mein Mitgefühl."Willst du genauso ein Versuchskaninchen werden, wie viele vor dir? Mit Gift im Blut oder kleine grüne Pillen in Sternchen-Form, die im Magen landen werden? Verschreib dich lieber den Drogen und stirb einen ehrenvollen Tod durch Gänseblümchen!" Steve rastet völlig aus. Ich korrigiere mich, er hat Gefühle, vor allem für Beth. Kein Wunder, dass Beth mit ihnen einen Fluchtversuch starten darf. Steve hat bei den anderen ein gutes Wort für die Kleine eingelegt. Die anderen, kaltblütige Mörder, aber Steve kann der Versuchung der engelhaften Beth nicht widerstehen. Wie lustig.
Pass auf Beth, dass du ihn nicht verärgerst, denn deine Schuldlosigkeit wird dir dann auch nicht weiterhelfen. Ich gluckse leicht, als mir ein verliebter Mann einen zornigen Blick zuwirft. Keiner von den Anwesenden hat mich bisher lachen gehört, umso verwunderter sind ihre Blicke momentan. Abrupt verstumme ich wieder, da ich keine unnötige Aufmerksamkeit bekommen möchte. Ich muss mich an die anderen anpassen, bei denen nie gute Stimmung herrscht. Als ich am Anfang meiner Klinik-Karriere stand, saß ich immer allein hier, aber dann sind die anderen still und heimlich dazugekommen. Es waren die Unschuldigen und Halbwegmörder, nicht die Serienkiller und Drogenbarone, die nicht wegen des Drogenverkaufs eingesperrt wurden, sondern als Zuhälter von der Polizei überrascht worden sind.
Zuerst dachte ich mir, warum können sie mich nicht in Ruhe hier sitzen lassen? Leider musste ich feststellen, dass man hier Verbündete braucht. Zwar sind sie nur Halbstarke, die mehr durch ihren gelogenen Ruf Respekt erlangt haben, aber immerhin etwas. Einmal retteten sie mich vor einer Vergewaltigung. Nicht, dass es bei mir irgendetwas ändern würde, schließlich bin ich durch sehr unangenehme Umstände sterilisiert worden. Ich kann keine Kinder bekommen. Niemals. Ich bedaure diesen Umstand überhaupt nicht, es ist mir ziemlich egal. Ich habe nie das Bedürfnis verspürt, ein kleines, schreiendes Baby im Arm zu halten. "Nein! Ihr versteht mich nicht! Seid doch mal ruhig! Ihr versteht gar nichts! Idioten!", schreit sie etwas lauter durch den Raum.
Und schon wieder liegen dutzende Augenpaare auf uns. Darauf könnte ich gut und gerne verzichten. Beth anscheinend nicht. Sie muss ausgerechnet die lauteste Stimme in unserer Gruppe besitzen, dennoch hat ihre Stimme die Klangfarbe eines zarten Flügelwesens. "Leiser! Hast du noch nie etwas von Flüstern gehört?", fauche ich sie an.
"Ist ja in Ordnung. Ruhig Brauner. Jedenfalls haben wir den perfekten Zukunftsplan und du nicht!" Sie verrät beinahe den Fluchtplan. Nein! Eigentlich soll es nicht meine Sorge sein, es ist ihr Problem.Ich zucke nur mit den Achseln, da es mir so egal wie die verfaulte Banane auf meinem Teller ist. Stochernd schiebe ich das gehackte Rindfleisch - Abfallprodukt aus einer Schlachtung - umher. "Anscheinend ist es dir nicht wichtig, was aus deinem Leben wird, sonst hättest du es in die Hand genommen und etwas dafür getan, um glücklich zu werden." Wie recht sie hat. Ich meine unrecht. Sogar in Gedanken kann man sich verreden. Ich bleibe stumm, weil ich es unter meiner Würde sehe, auf diese sinnlose Frage zu antworten. Wer würde nicht alles für ein sorgenfreies, zufriedenes Leben geben?
"Eine Seltenheit! Jody ist sprachlos, ihr wurde endlich das Maul gestopft!", schreit sie durch den Raum. Ich biete keine Parole, denn es nützt nichts, sich gegen ein hitziges Biest zu wehren. Leider hat sie ihre Worte vorher nicht abgewogen, sodass es durchaus sein kann, dass ich nächstes Mal nicht so nett zu ihr sein würde."Seht doch alle her! Die Psychopathin Jody zieht den Schwanz ein!" Noch ein Wort und sie ist Geschichte. Zu ihrem Glück kommen die Ärzte und piksen sie schnell in den Arm. Dann wird sie von einem Pfleger ins Zimmer getragen und nur noch Steve, Luca, Zoey und ich sind anwesend. Vielen Dank auch, dass sie mich unterstützt haben. Wenigstens pflichteten sie Beth nicht zu, nicht einmal Steve, in dessen Hinterteil ein rosaroter Pfeil steckt.
"Vermutlich ist ihr die Heimlichtuerei zu sehr zu Kopf gestiegen", versucht Steve die momentane Spannung zu entladen. Gute Ausrede'! Den meisten wird der Klinikaufenthalt zu viel und sie müssen Tag und Nacht in ihren Zimmern eingesperrt werden. Ein nicht wirklich erstrebenswertes Schicksal. Aber ich gehe mit gutem Beispiel voran und reiße mich zusammen. Deshalb kontrolliere ich mich mit einer eisernen Disziplin, um nicht einer der Fälle von Stufe acht zu werden. Zu gerne möchte ich erfahren, ob es Stufe zehn wirklich gibt, da noch niemand dort eingeliefert worden ist, jedenfalls ohne, dass ich etwas davon mitbekommen habe. Vielleicht sind es die ganz schlimmen Menschen mit physischer Instabilität. Ich komme zu dem Schluss, dass ich es nicht wissen brauche, da ich nicht das Verlangen hege, dort zu landen. "Wer's glaubt! Sie wird einfach langsam, aber sicher, verrückt, so wie alle hier - spätestens in ein paar Jahren wimmelt es hier nur von Irren. Wir sind ja schließlich in einem Irrenhaus.", spricht Zoey meinen Gedankengang an. Eine großartige Meinung einer intelligenten Frau, wenigstens eine hier, die ihr Gehirn noch nicht mit Gänseblümchen weg gepustet hat. Ich schenke ihr einen lobenden Blick, der jedoch von ihr keine Beachtung erfährt. Soll sie doch machen, was sie will! Bin ich nicht schon mal zu dem Ergebnis gekommen? Scheinbar habe ich mich noch nicht genug von den Menschen distanziert.
Ich liege im Bett und versuche ein bisschen Ruhe zu bekommen, bevor ich der Versuchung des nicht gerade erholsamen Schlafes ,in letzter Zeit, nachgebe. Stark wie ich bin, schaffe ich es eine ganze Stunde an die Decke zu sehen, ohne zu blinzeln. Irgendwie hat das schon einen Psycho-Faktor. Das Geschrei im Nebenzimmer entlockt mir ein genervtes Seufzen. Warum kann sie nicht aufgeben? Es wäre viel einfacher, wenn sie widerstandslos die Tabletten schlucken würde. Dann können wir alle schlafen und die friedliche Ruhe genießen. Knappe zehn Minuten später überlege ich mir, den Raum zu wechseln und ihren Hals mit dem Messer, das in der Matratze ist, aufzuschlitzen.Aber das würde nur meinem Ruf schaden, wenn ich denn einen hätte. Sollte ich nicht ein schlechtes Gewissen haben? Niemand mit einem gesunden Menschenverstand sollte sich Gedanken machen, die ein Opfer fordern werden. Entnervt schlage ich an die dünne Wand, die mich am vorzeitigen Töten anderer hindert. "Ruhe!" Aber sie schreit weiter, als würde sie unbeschreiblich starke Schmerzen haben. "Sei doch still", befehle ich laut. Darauf fängt sie an gegen die Wand zu schlagen. Das ist der eindeutige Beweis dafür, dass sie verrückt geworden ist. Wer wird das hier nicht? Abrupt hört der Lärm auf und es herrscht Stille. Höchst wahrscheinlich hat sie eine Beruhigungsspritze bekommen, da mittlerweile sogar die Pfleger es gehört haben dürften, falls sie nicht an schwerwiegender Taubheit leiden. Ich versuche mich wieder auf die Decke zu konzentrieren und verweile so stundenlang, bevor ich mich aufrichte und zum Bad gehe. Dazu trete ich in den Gang mit meinen Badesachen und öffne die gegenüber liegende Tür. Gut, keiner duscht. Dort schließe ich mich in eine Dusche ein, wo ich ein paar Knöpfe drehe. Wie zu erwarten, kommt nur - wie sooft - kaltes – immer in periodischen Stößen - Wasser aus dem Duschkopf geschossen.Ich blicke auf die große Uhr vor mir und sehe, dass mir nur noch zehn Minuten übrig bleiben, um die anderen notwendigen Hygiene-Bedürfnisse zu erledigen. Schnell trockne ich mich ab und ziehe mir das mitgebrachte Nachthemd über.
Somit öffne ich die Duschkabine und gehe zum Waschbecken. Dort ziehe ich den Reißverschluss nach rechts, damit ich in meinen Kulturbeutel die Zahnbürste plus Zahnpaste finden kann. Ein kleiner Fleck auf den Borsten, schon starte ich das nervige Putzen. Nach den üblichen zwei Minuten spucke ich es aus und verschlucke mich fast am Spülwasser, als eine raue Stimme hinter mir ertönt.
"Hallo, Jody", begrüßt sie mich.
"Du bist im falschen Bad, hier ist nur Zutritt für Frauen, außer du hast eine Vagina", erwidere ich naiv lächelnd.
"Nein, damit kann ich dir nicht dienen. Ich habe nur zwei Anliegen. Also, hast du Zeit?"
Ich blicke auf die Uhr. "Vier Minuten mehr nicht. Wenn du überziehst, selbst schuld." Er grinst nur. Scheinbar ist er ein Neuer. "Das lass mal meine Sorge sein. Das Erste, was ich ansprechen möchte, ist der Fluchtplan von Steve und den anderen, da ich zufällig ein geheimes Gespräch zwischen ihm und Luca belauscht habe. Deshalb habe ich mich gefragt, ob ich auch mitdarf." Warum stellt er mir diese Frage? "Frag sie doch, ich habe damit nichts zu tun." "Das bezweifle ich allerdings, schließlich habe ich bei dem Gespräch deinen Namen fallen hören." "Es tut mir ja wahnsinnig leid, aber ich weiß nichts davon. Noch eine Minute.", setze ich ihn unter Druck. "Du siehst heiß aus. Lust auf Sex?" Jetzt weiß ich, wieso er hier gelandet ist. "Kannst du vergessen", sage ich betont gelangweilt. "Dann wird es halt eine Vergewaltigung. Es ist deine Entscheidung." Er macht einen Schritt vorwärts zu mir und packt mich an den Oberarmen. Die Tür wird laut aufgeschlagen wird. Ach ja, es ist 23 Uhr und ab diesen Zeitpunkt Nachtruhe. Das Betreuer-Team, bestehend aus einem Mann und einer Frau handelt schnell und jagt ihm eine Spritze mit grüner Flüssigkeit in den Oberarm. Ja, er ist wirklich neu hier. "Jody, bitte geh wieder in dein Zimmer. Wir kümmern uns um ihn, du kannst jetzt beruhigt schlafen." Wortlos, mit meinen Sachen unterm Arm, gehe ich davon. Ich kuschele mich mit der Embryo-Haltung in das einzig Weiche im Bett, der Decke und falle in das schwarze Loch des Schlafes.
Es läutet zum Frühstück. Was für ein Aufwand für so etwas Ungenießbares. Mir wird bereits bei dem Gedanken daran schlecht, es zu essen. Ich will nicht! Obwohl ich meine, mich bereits an die Essensumstände gewöhnt zu haben, wird mir immer noch speiübel, nachdem ich es hinuntergeschluckt habe. Bei der Essensausgabe gibt mir der grimmige Koch einen extra großen Schöpfer undefinierbare Masse auf das Tablett, worauf ich zu unserem Tisch gehe und mich auf der Bank niederlasse. Ich beginne zu essen, ohne, dass ich auf die anderen warte. Mir kommt nicht in den Sinn, dass sie bereits in dieser Nacht geflohen sein könnten. Doch als das Personal anfängt zu tuscheln, kommt mir der Gedanke. Und ich habe recht, da die Betreuer laut verkünden, dass meine Freunde und ein weiterer Mann namens Fingo unauffindbar sind. Ich weiß, dass sie geflohen sind, aber ich habe nie daran geglaubt, dass sie es schaffen würden. Zugegeben, Luca hat in Folge elf Banken ausgeraubt und ist erst bei der zwölften festgenommen worden, wobei es nicht sein schlimmstes Verbrechen war. Der schöne, lustige Luca ist nicht so brav wie er allen vormacht, er hat guten Gewissens dabei sechs Menschen umgebracht. Zwar ist er als Irrer bei dem Richter abgestempelt worden, jedoch war er immer bei vollem Bewusstsein, was er auch tat. Nun, leider sind die Menschen nicht fähig, dem Bösen auf die Schliche zu kommen, obwohl es direkt vor ihrer Nase tanzt."Falls irgendjemand von euch es gewusst hat und nichts gesagt hat, dem erwartet keine so hohe Strafe, wenn er sich jetzt meldet!" Natürlich hebt keiner die Hand oder tritt vor, um sich freiwillig einer Strafe zu unterziehen. Vermutlich hecken die meisten unter uns schon eine weitere Flucht aus, weil sie wissen, dass es nicht unmöglich ist, zu fliehen. "Jody, sag die Wahrheit! Wo sind sie hin?" "Ich weiß von nichts. Ich habe auch keineswegs etwas mit der Flucht zu tun, sonst würde ich hier nicht sitzen, oder?" Ausnahmsweise kann ich – fast - wahrheitsgemäß antworten, da ich wirklich – fast - keine Ahnung habe. "Gestern hat sie aber was anderes behauptet! Sie lügt wie gedruckt! Glaubt ihr kein Wort!" Verschwören sich jetzt alle gegen mich? "Nur, weil du mich gestern vergewaltigen wolltest, heißt das nicht, dass du mir etwas Derartiges an schulden kannst. Und ich gebe dir einen Tipp: Denk nach, bevor du deinen Mund aufmachst!" Glücklicherweise interessieren sich die Betreuer nicht mehr für unser Gezanke, da deren Fokus auf einer Schlägerei im Innenhof liegt.
Drei Ex-Boxer gegen vier Ex-Serienmörder. Ich verlasse den Essensraum und trete an das Fenster in meinem Zimmer. Von dort aus habe ich einen guten Ausblick auf die Schlagfertigkeit der beiden Gruppen. Genießerisch liegen meine Augen auf der Faust, die knallhart den Bauch des anderen treffen. Ja, die Klinik macht einen verrückt, wenn man es nicht schon ist. Ein Wunder, dass man sich selten an die Kehle eines anderen geht, obwohl wir manchmal auf engstem Raum leben. Vielleicht liegt es daran, dass wir alle eine ähnliche Vergangenheit haben und uns so eigentlich ganz passabel verstehen. Anderseits stören wir keinen, bzw. nerven an einem schlechten Tag nicht. Das Personal packt die Männer und zieht sie zur Seite. Zwei meiner Mitinsassen wehren sich dagegen und werden kurzerhand ausgeknockt, während der Rest widerstandslos die dargebotenen Pillen schluckt. Eine ganz neue Masche. Statt eine Spritze in den Arm gejagt zu bekommen, dürfen wir es uns selber in Tablettenform machen. Was sind das nur für nette Menschen, die uns die Entscheidung überlassen. Natürlich hält einer eine Spritze parat, nur für den Fall der Fälle, die jedoch gleich verschwindet, als alle die Pille schlucken. Man wir abhängig von den unnötigsten Dingen, wie Tabletten und Spritzen, da wir einmal pro Tag die Medikamente in diesen Formen einnehmen müssen. Wenn wir den Konsum abstellen würden, gäbe es eine 50:50 Chance, dass wir durchdrehen oder Selbstmord begehen. Traurig. Unser Schicksal ist kurz gesagt traurig. Aber es ist unsere Zukunft, nicht die von normalen Menschen. Ich habe schon öfters über den Freitod nachgedacht, aber ich setze es mit Aufgeben gleich, deshalb keine Option für Jody. Ich, die bereits acht Jahre Durchhaltevermögen bewiesen hat, gebe nicht auf. Nicht auf diese Weise. Niemals.
Grausame acht Jahre, von denen ich fünf als Versuchskandidatin für die Medizinforschung überlebt habe und drei Jahre ziemlich in Ruhe gelassen wurde. Ich besitze kaum Erinnerungen an diese Zeit, zu schrecklich war dieser Lebensabschnitt. Dennoch, eine Tatsache habe ich erfahren und zwar, dass ich zeugungsunfähig bin. Was für Experimente sie wohl mit mir gemacht haben, dass ich dafür sterilisiert wurde? Lieber schweigen, als fragen. Es bringt einem nur Schwierigkeiten. Jedenfalls haben sie wohl genug von mir gehabt, da sie keine weiteren Versuche gestartet haben. Zumindest kann ich mir so meinen Ausschluss erklären, damit es halbwegs plausibel klingt. Oder es hat geklappt und sie beobachten dich, meint mein Bauchgefühl. In der letzten Zeit ist es aber nicht gerade hilfreich gewesen, eher schlecht, auf mein Bauchgefühl zu hören.
Casper David Friedrich, ein berühmter Maler. Der Wanderer über dem Nebelmeer, ein international berühmtes Gemälde. Ob sich der Maler in der Figur des Mannes, der in die Ferne sieht, verwirklicht hat? Wenn ja, warum? Wenn nein, ich mache es gerade. Vielleicht sehe ich genauso nachdenklich aus, wie er, auch wenn man nur seine Rückseite sieht. Gerade das zeigt, man kann nicht hinter die Fassade eines Menschen sehen, so gut man ihn auch kennt. Manchmal ist es nicht gut genug und man wird hintergangen. So wie ich von meinen Eltern. Beim genaueren Betrachten des Plagiats, das in einem der Gruppenräume hängt, fällt mir eine leicht angedeutete Handschrift im Nebel auf. Vermutlich eine geheime Nachricht, trotzdem packt mich die Neugierde nicht, sondern ich setze mich auf einen Stuhl.
Heute ist eine der monatlichen Gruppensitzungen, wo wir über die Toten und ebenfalls über Informationen zur Regelung des Alltags reden. Darunter verstehen sie, warum wir hier sind und wieso wir Medikamente bekommen. Die Erklärung aller Fragen: Wir sind eine Gefahr für die Gesellschaft. Wir müssen beseitigt werden. Nicht, wie gemeint, das Töten unserer abtrünnigen Art, sondern einfach das Weggesperrt sein. Jody, du Philosophin! Bin ich heute wieder eine Spaßkanone. Liegt wahrscheinlich an den kleinen, süßen Pillen. Hehe.
Die Stühle füllen sich langsam mit Menschen von meiner Abteilung. Der Leiter der versammelten Gruppen fängt an zu reden und ich sehe gelangweilt aus dem Fenster. Immer dieselbe Leier! Schweigt still, würde ich gerne durch den Raum schreien, aber dann bekomme ich nur eine Tablette in die Hand gedrückt. "Wir haben uns heute hier versammelt, um den zwei Toten Lilly und Renée zu gedenken, die uns leider verlassen haben...", rattert er seinen Standardspruch herunter. Sozusagen, er interessiert sich keine Bohne für dir Verstorbenen. "Unsere liebe Lilly hat den Freitod gewählt, um ihrer Welt einen Gefallen zu tun. Wir beten für sie. Amen." Er würde uns allen einen Herzenswunsch erfüllen, wenn er jetzt, genau zu diesem Zeitpunkt, aus dem Fenster springt.
"Ebenfalls hat uns unser lieber Bruder Rene verlassen, aufgrund einer Überdosis Gänseblümchen. Wie so viele vor ihm hat er der Versuchung nicht widerstehen können und ist viel zu früh von uns gegangen. Wir lassen jetzt alle gemeinsam von den Toten los. Wir nehmen unsere Hand aus ihrer, sehen ihnen zum letzten Mal tief in die Augen und treten den Rückzug in die Realität an." Es klingt wie ein schlechter Sciencefiction Roman. Überhaupt nicht passend zu der derzeitigen Situation. Sein Verhalten ist einfach abscheulich! Ich grinse. Übertreiben, ist meine große Leidenschaft. Theatralisch wische ich mir eine imaginäre Träne von meiner Wange. Die Tabletten tun mir echt nicht gut. Kann aber auch an der faszinierenden Farbe liegen. Ich kichere über meine Gedanken. "Francis, komm rein! Bei Jody wirken die Tabletten ziemlich stark! Hat man ihr wohl wieder eine Überdosis gegeben!" Oh wie lustig. Der Kleine schimpft den Großen. Darauf bekommt der Große rote Ohren und verschwindet, mit mir auf den Armen, aus dem Gruppenraum. "Wo bringst du mich hin?" "In dein Zimmer, du kranker Sparst." Oh, er beleidigt mich. Jetzt bin ich aber böse. Bei meiner privaten Höhle angekommen, kuschele ich mich ins Bett. Ich gähne herzhaft und lache mich wegen meiner sehr unmöglichen Art in den übermannenden Schlaf.
"Francis, da du deine Patientin gestern sehr schlecht behandelt hast, könnte ich dich sofort feuern. Aber das werde ich nicht. Stattdessen wirst du jetzt zu Jody gehen und ihr die fröhliche Botschaft übermitteln. Beeile dich, du hast heute einen ganzen Haufen Arbeit." Das erste was ich höre, ist die Stimme des Möchtegern-Pfarrers vor meiner Zimmertür. Ich spitze meine Ohren, wodurch ich ein Schnauben auf der anderen Seite der Tür wahrnehmen kann. Da draußen liebt jemand seine Arbeit wortwörtlich. Jemand, höchst wahrscheinlich Francis, klopft an die kleine Holztür. Ich setze mich auf und krächze ein "Herein". Ein gestresst wirkender, junger Mann - Francis - tritt herein. Das Absurde daran: Ich habe ewig Zeit. Bestenfalls bis zu meinem unausweichlichen Tod kann ich ihn von seiner Arbeit abhalten. Rache ist sauer, da mir Süßes nicht sonderlich gut bekommt.
"Hier ist der Ausweis zur Freistellung deiner Wenigkeit. Pack deine Sachen und geh zum Empfang. Dort werden sie dich in dein neues Leben einweisen und dich auf die Außenwelt vorbereiten. Viel Spaß mit deiner Zukunft in Freiheit." Was soll ich denn mit der Zukunft für einen Spaß haben? "Warte...", doch er ist schon verschwunden. Soviel zum Thema Freundlichkeit. Ich sehe mir das Dokument näher an und erkenne die Unterschriften der Vorstände. Ich stelle mir nur eine Frage: Warum? Warum jetzt? Warum werde ich jetzt entlassen? Tausend Fragen schießen mir durch den Kopf. Doch ich befolge seine Anweisung, meine Sachen zu packen. Vielleicht war es nur ein schlechter Scherz? Aber sie können das Dokument nicht gefälscht haben, da erstens buchstäblich mein Name draufsteht und zweitens es abgestempelt ist. Ein dicker roter Abdruck.
Ich stehe vor der abgesicherten Tür zum Empfang und bitte um Einlass. Ich halte das wichtige Stück Papier in die Linse der Sicherheitskamera und warte auf das Brummen der Sicherung. Der Zugang wird mir gewährt und ich stehe vor dem Tresen der Empfangsdame.
"Lange nicht mehr gesehen, Jody. Wie geht es dir?" Nur ein Gedanke: Zu fröhlich für eine Arbeiterin in der achten Klinik. Hoffentlich erwartet sie auf ihre dumme Frage keine Antwort. "So wortkarg wie damals. Übergehen wir eben die Begrüßungsfloskeln und kommen zum Thema." Oh ja, sie nimmt definitiv Beruhigungstabletten. "Ich habe die Ehre, dich in dein neues Leben einzuführen. Das bedeutet so viel wie eine Wohnung oder ein Haus, je nachdem wie großzügig der Staat ist, und ein mehr oder weniger gefüllter Kühlschrank. Wir haben das Jahr 2024, falls du dich nicht mehr erinnerst." Ich bin wohl die Erste, die sie einweist. "Die Daten werden gelöscht, die deine Anwesenheit hier bestätigen. Du beginnst ein völlig neues Leben. Mach es besser als dein Altes!"
Bruna, der Name auf dem angesteckten Schild, ordnet noch ein paar Dokumente in verschiedene Ordner ein und steht dann auf. "Lass uns fahren! Natürlich begleiten uns noch zwei oder drei Muckimänner. Du giltst immer noch als gefährlich. Vergiss das nicht! Erst wenn wir dich völlig entlassen haben, bist du ein normaler Bürger in Altdeutschland." Auf ins neue Leben.
Wir gehen geradewegs auf die Eingangstür zu. Dem Weg in die Freiheit. Ich bin draußen, ist mein erster Gedanke. Ein Auto mit schwarz getönten Fenstern fährt vor und einer dieser sogenannten Muckimänner öffnet die hintere Tür. Auf dem Rücksitz bin ich nun zwischen zwei übermuskulösen Männern eingequetscht, während Bruna mir, vom Vordersitz aus, über das neue Altdeutschland erzählt.
"Vor zwei Jahren haben sich die wichtigen Personen der Welt zusammen getan und über die Zukunft der Welt diskutiert. Ihr Entschluss lautete: Der dritte Weltkrieg muss ein Ende haben. Somit sind die mächtigsten Länder, wie Russland, die USA und China entmachtet worden, womit auch viele Probleme beseitigt wurden. Nur die Kriege in Nordafrika sind noch nicht vorbei. Es war ein großes Gemetzel, aber wie soll man sonst einen Haufen Verrückte aufhalten, die jeden entweder töten oder versklaven? Wenigstens haben wir jetzt Ruhe vor ihnen. Als allerletzte Sicherheitsvorkehrungen für einen langwierigen Frieden sind alle möglichen Terroristen eingesperrt worden, aber vor allem sind sie in die zehnte, elfte und zwölfte Klinik eingeliefert worden." Alles findet immer ein Ende. Egal ob ein Gutes oder Schlechtes. Alles wird zugrunde gehen, was ein Mensch angefangen hat.
Es gibt noch mehr Anstalten? "Nun denn, jetzt ist alles geregelt. So wir sind da. Los, alle Mann aussteigen." Die Schränke steigen vor mir aus und weichen nicht von meiner Seite, nicht, dass ich etwas Schlimmes vergehen würde. Es ist ein Miethaus, es sind noch mehr Familien oder Alleinstehende einquartiert. Eine Frau mit Kind sieht neugierig aus dem Fenster. Doch als sie mich in der Mitte von drei Männern sieht, verschwindet sie aus meinen Blickwinkel. Wie immer, weichen die Menschen mir aus. Ein leicht irritierendes Grinsen ziert meine Mundwinkel, das die Bewacher leicht verunsichert.Trotzdem gelange ich unversehrt und ganz in meine neue Wohnung. "Hier sind die Bedienungsanleitungen für alle technischen Geräte und deine Papiere. Im Schrank findest du Klamotten zum Anziehen und im linken Nachttischchen - neben dem Bett- liegt Geld. Bis du eine Arbeit gefunden hast, zahlt die Sozialhilfe dir deine Ausgaben bis zu Geldbeträgen von 2000€ monatlich." Ich nicke und wir verabschieden uns. Das war es also. Das war alles.
Ich durchsuche die einzelnen Möbel und Dekorationen nach Wanzen, aber finde nichts. Anscheinend ist es ihr Ernst. Es ist kein Scherz. Ich bin frei. Auch finde ich das versprochene Geld. Insgesamt eine Summe von 3450 Euro und 10 Cent. Davon könnte man gut ein Jahr leben. Außer man genießt einen höheren Standard als ich. Der Schrank ist gleich durchwühlt. Nur praxistaugliche Kleidung und ein, zwei Sommerkleider hängen an der Stange, in Kisten sind Socken und Unterwäsche in allen Farben und Formen vorhanden. Alles, was das Herz begehrt und doch nichts Besonderes. Anscheinend hat der Einrichter ein Faible für runde Sachen. Auf den Klamotten sind meistens Kreise abgebildet und in den Kissen sind Blumen in Form von fünf Kreisen eingestickt.
Nun sitze ich am runden Tisch in der kleinen Küche und weiß nichts mit mir anzufangen. Hier gibt es keine Tabletten oder Spritzen, mit denen ich mich für einen kurzen Moment von der Realität verabschieden könnte.
Tick Tack. Tick Tack. Seit zweieinhalb Stunden nehme ich nichts weiter als das Tick Tack der Uhr wahr. Langsam treiben mich diese monotonen Geräusche in den Wahnsinn. Eine Abwechslung muss her! Euphorisch schwinge ich mich auf die Füße und werfe dabei den Stuhl um. Trotz meiner Angewohnheit stets alles perfekt geordnet zu haben, siegt letztendlich meine Abenteuerlust. Ich blicke aus dem Fenster und sehe die Sonne in der zentralsten Lage. Kurz in den Spiegel gesehen und ich befinde mein Outfit für annehmbar. Voller Elan reiße ich die Tür auf und eile schnellen Schrittes die Treppe hinab. Niemals hätte ich erwartet, was ich in den nächsten Monaten erleben werde.
Er umrundet seine Mobilität und zieht eine Liege heraus. Während er diese vor sich herschiebt, kommt ihm schon der Abteilungsleiter der verschiedenen Betreuer entgegen. Insgesamt schildert er ohne große Mimik und Gestik, ganz rational das Geschehen: Eine Überdosis Gänseblümchen. Jemand hat den Tod gewählt, eine von zwei Möglichkeiten, in die Freiheit zu gelangen. Die andere Option ist ein Ausweis zur Freistellung. Ha, guter Witz. Witz des Jahrhunderts. Ich habe noch nie so viel gelacht! Manche würden mein Lachen auf die Hysterie schieben, aber ich lache herzhaft über die Dummheit des Personals. Sie wissen nichts von den Gewalttaten, dem Drogenmissbrauch oder den Vergewaltigungen, sie können nur erahnen, wie tief solche Taten unter den Insassen verbreitet sind.
Die Männer gehen in Richtung Eingangstor, wo sie ihre Karte in die Kamera halten und den Fingerabdruck überprüfen. Als alle Sicherungen des Gebäudekomplexes überwunden sind, wird die Tür geöffnet und sie treten in die Anstalt hinein, nur mit dem Unterschied, dass sie wieder heraus können. Ich höre das Quietschen der Liege im Flur. Ist wohl einer von meiner Abteilung, einer von der "gefährlichen" Sorte. Hoffentlich hat er es jetzt schöner als hier. Eine Stunde später höre ich wieder das bereits bekannte Quietschen der Trage. Die Leiche desinfiziert, beziehungsweise gesäubert und angezogen, wird in den kleinen Lastwagen-ähnlichen Wagen geschoben und zum Friedhof gebracht. Jedoch werden die meisten dort verbrannt und die Asche in ein Erdloch gefüllt, weil die Familie kein Geld für einen solchen Fall besitzt oder für uns Jämmerlichen keinen Cent ausgeben mag.
Erst durch den Tod sieht man das wahre Gesicht eines Menschen. Da kann man froh sein, dass man keine Familie hat, die sich rührend um einen kümmert. Sie haben mir mein Erspartes und hart erarbeitetes Geld genommen, dafür haben sie aber von mir einen Fahrtschein in die Hölle bekommen. Wenigstens etwas. Als ich in die achte Klinik gekommen bin, hatte ich kein Geld mehr, weil die Menschen, denen ich am meisten vertraut habe, davon in den Urlaub gefahren sind und meine Abwesenheit mit Saus und Braus gefeiert haben.
Aber sie sind nie auf Teneriffa angekommen, denn das Flugzeug ist vorher, unglücklicherweise, abgestürzt. Das Läuten der Klingel reißt mich aus der Erinnerung an meine Erzeuger und lässt mich aufschauen. Anscheinend ist Filmzeit angesagt. Man will die Patienten ja schließlich nicht ganz verkümmern lassen, weshalb jede Abteilung einmal wöchentlich einen Propaganda-Film über die Klinken und Betreuungen ansehen darf. Nicht wirklich produktiv, trotzdem werden mache davon manipuliert und sind stolz, die Welt von sich selbst befreien zu können. Ich bin auch stolz darauf, aber im anderen Sinne. Ich bin stolz darauf, dass ich Ruhe vor den Menschen außerhalb habe.
Obwohl ich gerne nach draußen möchte. Ein innerer Zwiespalt, bei welchem schlussendlich das Freiheitsgefühl siegt. Freiheit ist unbeschreiblich wichtig für mich, erst dann kann ich nämlich meine vielfältige Persönlichkeit entfalten.
Ich drücke die Türklinke nach unten und trete in den Gang. Ich bin wohl eine der Letzten, da sich nur noch drei weitere im Flur aufhalten. Ich muss mich beeilen, sonst werde ich ausgeschlossen und darf meinen restlichen Tag mit lästigem Herumlungern verbringen. Schnellen Schrittes begebe ich mich zum Media-Raum und setze mich auf einen der hintersten Stühle. Die Vorderen sind alle schon besetzt und mir bleibt nichts anderes übrig, als mich mit den alten Klappstühlen zufrieden zu geben. Während sich noch die letzte Reihe langsam füllt, wo auch ich meinen Sitzplatz habe, wird die Tür bereits geschlossen. Die Insassen, welche ein paar Sekunden zu spät gekommen sind, haben Pech gehabt.
Wie immer in solchen grotesken Momenten denke ich an das Gesetz von Charles Darwin, meinem Lieblingsforscher. So absurd es auch ist, ich glaube an das Naturgesetz, es ist das Einzige, was mich am Leben hält.
Die Betreuer, von denen außerdem ein Teil für die Manipulation zuständig ist, bedienen den Projektor und ein Kreuz erscheint auf der Leinwand. Wollen sie uns jetzt missionieren? Gott möge uns beistehen. Er steht für die Wahrheit und das Gute in der Welt, nicht für Betrug und Böses. An ihn kann man sich wenden, wenn man sich einsam fühlt. Nicht, dass ich besonders katholisch oder religiös bin, ich rezitiere hier einfach nur die Worte eines Pfarrers. Über Sinn oder Sinnlosigkeit kann man sich streiten.
Ein Timer erscheint und zählt für alle sichtbar von zehn auf eins. Die Spannung wächst - nicht.
Der Ton schaltet sich ein und Gänsehaut bildet sich auf meiner Haut, während ich den schrillen, quietschenden Tönen lausche. Ein Genuss für jeden Tauben, er würde danach bestimmt wieder hören können. Überall Leichen, wohin man auf der Leinwand schaut, kein Plätzchen ohne Verstümmeltes. Fast schon Ekel erregend. Aber so sieht anscheinend die Welt mit uns aus. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man darauf kommt, wir wären kaltblütige Bestien. Rote Blutlachen erstrecken sich über die weiße Wand aus Plastik und ich verstehe den Grund, wieso so etwas Abscheuliches produziert wird. Sie wollen uns mit den Taten einschüchtern und uns so vom weiteren Quälen und Töten abhalten. Wie auch immer sie diese scheinbar echt wirkenden Effekte gemacht haben, es wirkt nicht.
Eher sehen wir uns im Täter wieder gespiegelt, der seine Opfer auf grausame und blutige Art und Weise zu Tode quält. Heimlich lächle ich hinter meinem Haarvorhang, damit es kein anderer zu sehen bekommt. Der weitere Verlauf des Films ist absolut unrealistisch, da wir als Menschen ohne Gefühle abgestempelt werden. Schwachsinn! Jedes Lebewesen hat Gefühle entsprechend seines Charakters, mehr oder weniger ausgeprägt. Verschwiegen und introvertiert ist besser als vorlaut und redselig.
Nach dem wöchentlichen Fernsehkonsum dürfen wir uns noch eine halbstündige Rede anhören, die einzig und allein aus purer Langeweile besteht. Verstohlen blicke ich aus halb geschlossenen Augen zu den anderen Patienten inklusive meinen sogenannten Freunden. Alle gähnen um die Wette und sehen so aus, als würden sie gleich einschlafen. Jedoch können sie sich nicht dieser Versuchung hingeben, da die jeweiligen Schläfer deswegen auf jeden Fall zur Rechenschaft gezogen werden würden.Endlich werden wir von dieser kleinen Ewigkeit entlassen und können uns dem Abendessen widmen.
Dort geselle ich mich, freiwillig oder eben auch nicht, zu meinen Mitinsassen. Heute herrscht viel mehr Rededrang als sonst, der sich durch die höhere Lautstärke im Raum bemerkbar macht. Außer mir öffnet und schließt jeder seinen Mund, um etwas preiszugeben. Sogar Beth, das stille Wasser, ist heute besonders redselig. Aber stille Wasser sind bekanntlich tief. "Der Vortrag war so langweilig, wie noch nie. Beinahe hätte ich mir gewünscht an der Stelle des Opfers zu sein. Jedoch nur beinahe. Dann wäre wenigstens ein wenig Action gewesen."
Luca sieht Beth mit einem seltsamen Blick an, nachdem sie ihren letzten Satz beendet hat. "Ich hätte gemeint, du wärst froh zu Leben, schließlich hast du jemanden umgebracht", äußert er eine Vermutung. "Ja, natürlich bin ich froh auf der Welt zu sein! Dennoch bin ich mir nicht mehr im Klaren, ob es nicht doch besser wäre, aufzugeben."
Gespielt geschockt suche ich den Augenkontakt zu ihr, um einen Hauch von Mitgefühl zu zeigen. Einfacher gesagt als getan. Ich bin schon etwas aus der Übung, was solche Dinge angeht, man brauchte es ja auch sonst nicht im Leben. Schließlich bekommt man Mitleid geschenkt, aber Neid muss man sich verdienen. Da ich noch nie jemandem etwas geschenkt habe, erwarte ich keine Reaktion auf mein Mitgefühl."Willst du genauso ein Versuchskaninchen werden, wie viele vor dir? Mit Gift im Blut oder kleine grüne Pillen in Sternchen-Form, die im Magen landen werden? Verschreib dich lieber den Drogen und stirb einen ehrenvollen Tod durch Gänseblümchen!" Steve rastet völlig aus. Ich korrigiere mich, er hat Gefühle, vor allem für Beth. Kein Wunder, dass Beth mit ihnen einen Fluchtversuch starten darf. Steve hat bei den anderen ein gutes Wort für die Kleine eingelegt. Die anderen, kaltblütige Mörder, aber Steve kann der Versuchung der engelhaften Beth nicht widerstehen. Wie lustig.
Pass auf Beth, dass du ihn nicht verärgerst, denn deine Schuldlosigkeit wird dir dann auch nicht weiterhelfen. Ich gluckse leicht, als mir ein verliebter Mann einen zornigen Blick zuwirft. Keiner von den Anwesenden hat mich bisher lachen gehört, umso verwunderter sind ihre Blicke momentan. Abrupt verstumme ich wieder, da ich keine unnötige Aufmerksamkeit bekommen möchte. Ich muss mich an die anderen anpassen, bei denen nie gute Stimmung herrscht. Als ich am Anfang meiner Klinik-Karriere stand, saß ich immer allein hier, aber dann sind die anderen still und heimlich dazugekommen. Es waren die Unschuldigen und Halbwegmörder, nicht die Serienkiller und Drogenbarone, die nicht wegen des Drogenverkaufs eingesperrt wurden, sondern als Zuhälter von der Polizei überrascht worden sind.
Zuerst dachte ich mir, warum können sie mich nicht in Ruhe hier sitzen lassen? Leider musste ich feststellen, dass man hier Verbündete braucht. Zwar sind sie nur Halbstarke, die mehr durch ihren gelogenen Ruf Respekt erlangt haben, aber immerhin etwas. Einmal retteten sie mich vor einer Vergewaltigung. Nicht, dass es bei mir irgendetwas ändern würde, schließlich bin ich durch sehr unangenehme Umstände sterilisiert worden. Ich kann keine Kinder bekommen. Niemals. Ich bedaure diesen Umstand überhaupt nicht, es ist mir ziemlich egal. Ich habe nie das Bedürfnis verspürt, ein kleines, schreiendes Baby im Arm zu halten. "Nein! Ihr versteht mich nicht! Seid doch mal ruhig! Ihr versteht gar nichts! Idioten!", schreit sie etwas lauter durch den Raum.
Und schon wieder liegen dutzende Augenpaare auf uns. Darauf könnte ich gut und gerne verzichten. Beth anscheinend nicht. Sie muss ausgerechnet die lauteste Stimme in unserer Gruppe besitzen, dennoch hat ihre Stimme die Klangfarbe eines zarten Flügelwesens. "Leiser! Hast du noch nie etwas von Flüstern gehört?", fauche ich sie an.
"Ist ja in Ordnung. Ruhig Brauner. Jedenfalls haben wir den perfekten Zukunftsplan und du nicht!" Sie verrät beinahe den Fluchtplan. Nein! Eigentlich soll es nicht meine Sorge sein, es ist ihr Problem.Ich zucke nur mit den Achseln, da es mir so egal wie die verfaulte Banane auf meinem Teller ist. Stochernd schiebe ich das gehackte Rindfleisch - Abfallprodukt aus einer Schlachtung - umher. "Anscheinend ist es dir nicht wichtig, was aus deinem Leben wird, sonst hättest du es in die Hand genommen und etwas dafür getan, um glücklich zu werden." Wie recht sie hat. Ich meine unrecht. Sogar in Gedanken kann man sich verreden. Ich bleibe stumm, weil ich es unter meiner Würde sehe, auf diese sinnlose Frage zu antworten. Wer würde nicht alles für ein sorgenfreies, zufriedenes Leben geben?
"Eine Seltenheit! Jody ist sprachlos, ihr wurde endlich das Maul gestopft!", schreit sie durch den Raum. Ich biete keine Parole, denn es nützt nichts, sich gegen ein hitziges Biest zu wehren. Leider hat sie ihre Worte vorher nicht abgewogen, sodass es durchaus sein kann, dass ich nächstes Mal nicht so nett zu ihr sein würde."Seht doch alle her! Die Psychopathin Jody zieht den Schwanz ein!" Noch ein Wort und sie ist Geschichte. Zu ihrem Glück kommen die Ärzte und piksen sie schnell in den Arm. Dann wird sie von einem Pfleger ins Zimmer getragen und nur noch Steve, Luca, Zoey und ich sind anwesend. Vielen Dank auch, dass sie mich unterstützt haben. Wenigstens pflichteten sie Beth nicht zu, nicht einmal Steve, in dessen Hinterteil ein rosaroter Pfeil steckt.
"Vermutlich ist ihr die Heimlichtuerei zu sehr zu Kopf gestiegen", versucht Steve die momentane Spannung zu entladen. Gute Ausrede'! Den meisten wird der Klinikaufenthalt zu viel und sie müssen Tag und Nacht in ihren Zimmern eingesperrt werden. Ein nicht wirklich erstrebenswertes Schicksal. Aber ich gehe mit gutem Beispiel voran und reiße mich zusammen. Deshalb kontrolliere ich mich mit einer eisernen Disziplin, um nicht einer der Fälle von Stufe acht zu werden. Zu gerne möchte ich erfahren, ob es Stufe zehn wirklich gibt, da noch niemand dort eingeliefert worden ist, jedenfalls ohne, dass ich etwas davon mitbekommen habe. Vielleicht sind es die ganz schlimmen Menschen mit physischer Instabilität. Ich komme zu dem Schluss, dass ich es nicht wissen brauche, da ich nicht das Verlangen hege, dort zu landen. "Wer's glaubt! Sie wird einfach langsam, aber sicher, verrückt, so wie alle hier - spätestens in ein paar Jahren wimmelt es hier nur von Irren. Wir sind ja schließlich in einem Irrenhaus.", spricht Zoey meinen Gedankengang an. Eine großartige Meinung einer intelligenten Frau, wenigstens eine hier, die ihr Gehirn noch nicht mit Gänseblümchen weg gepustet hat. Ich schenke ihr einen lobenden Blick, der jedoch von ihr keine Beachtung erfährt. Soll sie doch machen, was sie will! Bin ich nicht schon mal zu dem Ergebnis gekommen? Scheinbar habe ich mich noch nicht genug von den Menschen distanziert.
Ich liege im Bett und versuche ein bisschen Ruhe zu bekommen, bevor ich der Versuchung des nicht gerade erholsamen Schlafes ,in letzter Zeit, nachgebe. Stark wie ich bin, schaffe ich es eine ganze Stunde an die Decke zu sehen, ohne zu blinzeln. Irgendwie hat das schon einen Psycho-Faktor. Das Geschrei im Nebenzimmer entlockt mir ein genervtes Seufzen. Warum kann sie nicht aufgeben? Es wäre viel einfacher, wenn sie widerstandslos die Tabletten schlucken würde. Dann können wir alle schlafen und die friedliche Ruhe genießen. Knappe zehn Minuten später überlege ich mir, den Raum zu wechseln und ihren Hals mit dem Messer, das in der Matratze ist, aufzuschlitzen.Aber das würde nur meinem Ruf schaden, wenn ich denn einen hätte. Sollte ich nicht ein schlechtes Gewissen haben? Niemand mit einem gesunden Menschenverstand sollte sich Gedanken machen, die ein Opfer fordern werden. Entnervt schlage ich an die dünne Wand, die mich am vorzeitigen Töten anderer hindert. "Ruhe!" Aber sie schreit weiter, als würde sie unbeschreiblich starke Schmerzen haben. "Sei doch still", befehle ich laut. Darauf fängt sie an gegen die Wand zu schlagen. Das ist der eindeutige Beweis dafür, dass sie verrückt geworden ist. Wer wird das hier nicht? Abrupt hört der Lärm auf und es herrscht Stille. Höchst wahrscheinlich hat sie eine Beruhigungsspritze bekommen, da mittlerweile sogar die Pfleger es gehört haben dürften, falls sie nicht an schwerwiegender Taubheit leiden. Ich versuche mich wieder auf die Decke zu konzentrieren und verweile so stundenlang, bevor ich mich aufrichte und zum Bad gehe. Dazu trete ich in den Gang mit meinen Badesachen und öffne die gegenüber liegende Tür. Gut, keiner duscht. Dort schließe ich mich in eine Dusche ein, wo ich ein paar Knöpfe drehe. Wie zu erwarten, kommt nur - wie sooft - kaltes – immer in periodischen Stößen - Wasser aus dem Duschkopf geschossen.Ich blicke auf die große Uhr vor mir und sehe, dass mir nur noch zehn Minuten übrig bleiben, um die anderen notwendigen Hygiene-Bedürfnisse zu erledigen. Schnell trockne ich mich ab und ziehe mir das mitgebrachte Nachthemd über.
Somit öffne ich die Duschkabine und gehe zum Waschbecken. Dort ziehe ich den Reißverschluss nach rechts, damit ich in meinen Kulturbeutel die Zahnbürste plus Zahnpaste finden kann. Ein kleiner Fleck auf den Borsten, schon starte ich das nervige Putzen. Nach den üblichen zwei Minuten spucke ich es aus und verschlucke mich fast am Spülwasser, als eine raue Stimme hinter mir ertönt.
"Hallo, Jody", begrüßt sie mich.
"Du bist im falschen Bad, hier ist nur Zutritt für Frauen, außer du hast eine Vagina", erwidere ich naiv lächelnd.
"Nein, damit kann ich dir nicht dienen. Ich habe nur zwei Anliegen. Also, hast du Zeit?"
Ich blicke auf die Uhr. "Vier Minuten mehr nicht. Wenn du überziehst, selbst schuld." Er grinst nur. Scheinbar ist er ein Neuer. "Das lass mal meine Sorge sein. Das Erste, was ich ansprechen möchte, ist der Fluchtplan von Steve und den anderen, da ich zufällig ein geheimes Gespräch zwischen ihm und Luca belauscht habe. Deshalb habe ich mich gefragt, ob ich auch mitdarf." Warum stellt er mir diese Frage? "Frag sie doch, ich habe damit nichts zu tun." "Das bezweifle ich allerdings, schließlich habe ich bei dem Gespräch deinen Namen fallen hören." "Es tut mir ja wahnsinnig leid, aber ich weiß nichts davon. Noch eine Minute.", setze ich ihn unter Druck. "Du siehst heiß aus. Lust auf Sex?" Jetzt weiß ich, wieso er hier gelandet ist. "Kannst du vergessen", sage ich betont gelangweilt. "Dann wird es halt eine Vergewaltigung. Es ist deine Entscheidung." Er macht einen Schritt vorwärts zu mir und packt mich an den Oberarmen. Die Tür wird laut aufgeschlagen wird. Ach ja, es ist 23 Uhr und ab diesen Zeitpunkt Nachtruhe. Das Betreuer-Team, bestehend aus einem Mann und einer Frau handelt schnell und jagt ihm eine Spritze mit grüner Flüssigkeit in den Oberarm. Ja, er ist wirklich neu hier. "Jody, bitte geh wieder in dein Zimmer. Wir kümmern uns um ihn, du kannst jetzt beruhigt schlafen." Wortlos, mit meinen Sachen unterm Arm, gehe ich davon. Ich kuschele mich mit der Embryo-Haltung in das einzig Weiche im Bett, der Decke und falle in das schwarze Loch des Schlafes.
Es läutet zum Frühstück. Was für ein Aufwand für so etwas Ungenießbares. Mir wird bereits bei dem Gedanken daran schlecht, es zu essen. Ich will nicht! Obwohl ich meine, mich bereits an die Essensumstände gewöhnt zu haben, wird mir immer noch speiübel, nachdem ich es hinuntergeschluckt habe. Bei der Essensausgabe gibt mir der grimmige Koch einen extra großen Schöpfer undefinierbare Masse auf das Tablett, worauf ich zu unserem Tisch gehe und mich auf der Bank niederlasse. Ich beginne zu essen, ohne, dass ich auf die anderen warte. Mir kommt nicht in den Sinn, dass sie bereits in dieser Nacht geflohen sein könnten. Doch als das Personal anfängt zu tuscheln, kommt mir der Gedanke. Und ich habe recht, da die Betreuer laut verkünden, dass meine Freunde und ein weiterer Mann namens Fingo unauffindbar sind. Ich weiß, dass sie geflohen sind, aber ich habe nie daran geglaubt, dass sie es schaffen würden. Zugegeben, Luca hat in Folge elf Banken ausgeraubt und ist erst bei der zwölften festgenommen worden, wobei es nicht sein schlimmstes Verbrechen war. Der schöne, lustige Luca ist nicht so brav wie er allen vormacht, er hat guten Gewissens dabei sechs Menschen umgebracht. Zwar ist er als Irrer bei dem Richter abgestempelt worden, jedoch war er immer bei vollem Bewusstsein, was er auch tat. Nun, leider sind die Menschen nicht fähig, dem Bösen auf die Schliche zu kommen, obwohl es direkt vor ihrer Nase tanzt."Falls irgendjemand von euch es gewusst hat und nichts gesagt hat, dem erwartet keine so hohe Strafe, wenn er sich jetzt meldet!" Natürlich hebt keiner die Hand oder tritt vor, um sich freiwillig einer Strafe zu unterziehen. Vermutlich hecken die meisten unter uns schon eine weitere Flucht aus, weil sie wissen, dass es nicht unmöglich ist, zu fliehen. "Jody, sag die Wahrheit! Wo sind sie hin?" "Ich weiß von nichts. Ich habe auch keineswegs etwas mit der Flucht zu tun, sonst würde ich hier nicht sitzen, oder?" Ausnahmsweise kann ich – fast - wahrheitsgemäß antworten, da ich wirklich – fast - keine Ahnung habe. "Gestern hat sie aber was anderes behauptet! Sie lügt wie gedruckt! Glaubt ihr kein Wort!" Verschwören sich jetzt alle gegen mich? "Nur, weil du mich gestern vergewaltigen wolltest, heißt das nicht, dass du mir etwas Derartiges an schulden kannst. Und ich gebe dir einen Tipp: Denk nach, bevor du deinen Mund aufmachst!" Glücklicherweise interessieren sich die Betreuer nicht mehr für unser Gezanke, da deren Fokus auf einer Schlägerei im Innenhof liegt.
Drei Ex-Boxer gegen vier Ex-Serienmörder. Ich verlasse den Essensraum und trete an das Fenster in meinem Zimmer. Von dort aus habe ich einen guten Ausblick auf die Schlagfertigkeit der beiden Gruppen. Genießerisch liegen meine Augen auf der Faust, die knallhart den Bauch des anderen treffen. Ja, die Klinik macht einen verrückt, wenn man es nicht schon ist. Ein Wunder, dass man sich selten an die Kehle eines anderen geht, obwohl wir manchmal auf engstem Raum leben. Vielleicht liegt es daran, dass wir alle eine ähnliche Vergangenheit haben und uns so eigentlich ganz passabel verstehen. Anderseits stören wir keinen, bzw. nerven an einem schlechten Tag nicht. Das Personal packt die Männer und zieht sie zur Seite. Zwei meiner Mitinsassen wehren sich dagegen und werden kurzerhand ausgeknockt, während der Rest widerstandslos die dargebotenen Pillen schluckt. Eine ganz neue Masche. Statt eine Spritze in den Arm gejagt zu bekommen, dürfen wir es uns selber in Tablettenform machen. Was sind das nur für nette Menschen, die uns die Entscheidung überlassen. Natürlich hält einer eine Spritze parat, nur für den Fall der Fälle, die jedoch gleich verschwindet, als alle die Pille schlucken. Man wir abhängig von den unnötigsten Dingen, wie Tabletten und Spritzen, da wir einmal pro Tag die Medikamente in diesen Formen einnehmen müssen. Wenn wir den Konsum abstellen würden, gäbe es eine 50:50 Chance, dass wir durchdrehen oder Selbstmord begehen. Traurig. Unser Schicksal ist kurz gesagt traurig. Aber es ist unsere Zukunft, nicht die von normalen Menschen. Ich habe schon öfters über den Freitod nachgedacht, aber ich setze es mit Aufgeben gleich, deshalb keine Option für Jody. Ich, die bereits acht Jahre Durchhaltevermögen bewiesen hat, gebe nicht auf. Nicht auf diese Weise. Niemals.
Grausame acht Jahre, von denen ich fünf als Versuchskandidatin für die Medizinforschung überlebt habe und drei Jahre ziemlich in Ruhe gelassen wurde. Ich besitze kaum Erinnerungen an diese Zeit, zu schrecklich war dieser Lebensabschnitt. Dennoch, eine Tatsache habe ich erfahren und zwar, dass ich zeugungsunfähig bin. Was für Experimente sie wohl mit mir gemacht haben, dass ich dafür sterilisiert wurde? Lieber schweigen, als fragen. Es bringt einem nur Schwierigkeiten. Jedenfalls haben sie wohl genug von mir gehabt, da sie keine weiteren Versuche gestartet haben. Zumindest kann ich mir so meinen Ausschluss erklären, damit es halbwegs plausibel klingt. Oder es hat geklappt und sie beobachten dich, meint mein Bauchgefühl. In der letzten Zeit ist es aber nicht gerade hilfreich gewesen, eher schlecht, auf mein Bauchgefühl zu hören.
Casper David Friedrich, ein berühmter Maler. Der Wanderer über dem Nebelmeer, ein international berühmtes Gemälde. Ob sich der Maler in der Figur des Mannes, der in die Ferne sieht, verwirklicht hat? Wenn ja, warum? Wenn nein, ich mache es gerade. Vielleicht sehe ich genauso nachdenklich aus, wie er, auch wenn man nur seine Rückseite sieht. Gerade das zeigt, man kann nicht hinter die Fassade eines Menschen sehen, so gut man ihn auch kennt. Manchmal ist es nicht gut genug und man wird hintergangen. So wie ich von meinen Eltern. Beim genaueren Betrachten des Plagiats, das in einem der Gruppenräume hängt, fällt mir eine leicht angedeutete Handschrift im Nebel auf. Vermutlich eine geheime Nachricht, trotzdem packt mich die Neugierde nicht, sondern ich setze mich auf einen Stuhl.
Heute ist eine der monatlichen Gruppensitzungen, wo wir über die Toten und ebenfalls über Informationen zur Regelung des Alltags reden. Darunter verstehen sie, warum wir hier sind und wieso wir Medikamente bekommen. Die Erklärung aller Fragen: Wir sind eine Gefahr für die Gesellschaft. Wir müssen beseitigt werden. Nicht, wie gemeint, das Töten unserer abtrünnigen Art, sondern einfach das Weggesperrt sein. Jody, du Philosophin! Bin ich heute wieder eine Spaßkanone. Liegt wahrscheinlich an den kleinen, süßen Pillen. Hehe.
Die Stühle füllen sich langsam mit Menschen von meiner Abteilung. Der Leiter der versammelten Gruppen fängt an zu reden und ich sehe gelangweilt aus dem Fenster. Immer dieselbe Leier! Schweigt still, würde ich gerne durch den Raum schreien, aber dann bekomme ich nur eine Tablette in die Hand gedrückt. "Wir haben uns heute hier versammelt, um den zwei Toten Lilly und Renée zu gedenken, die uns leider verlassen haben...", rattert er seinen Standardspruch herunter. Sozusagen, er interessiert sich keine Bohne für dir Verstorbenen. "Unsere liebe Lilly hat den Freitod gewählt, um ihrer Welt einen Gefallen zu tun. Wir beten für sie. Amen." Er würde uns allen einen Herzenswunsch erfüllen, wenn er jetzt, genau zu diesem Zeitpunkt, aus dem Fenster springt.
"Ebenfalls hat uns unser lieber Bruder Rene verlassen, aufgrund einer Überdosis Gänseblümchen. Wie so viele vor ihm hat er der Versuchung nicht widerstehen können und ist viel zu früh von uns gegangen. Wir lassen jetzt alle gemeinsam von den Toten los. Wir nehmen unsere Hand aus ihrer, sehen ihnen zum letzten Mal tief in die Augen und treten den Rückzug in die Realität an." Es klingt wie ein schlechter Sciencefiction Roman. Überhaupt nicht passend zu der derzeitigen Situation. Sein Verhalten ist einfach abscheulich! Ich grinse. Übertreiben, ist meine große Leidenschaft. Theatralisch wische ich mir eine imaginäre Träne von meiner Wange. Die Tabletten tun mir echt nicht gut. Kann aber auch an der faszinierenden Farbe liegen. Ich kichere über meine Gedanken. "Francis, komm rein! Bei Jody wirken die Tabletten ziemlich stark! Hat man ihr wohl wieder eine Überdosis gegeben!" Oh wie lustig. Der Kleine schimpft den Großen. Darauf bekommt der Große rote Ohren und verschwindet, mit mir auf den Armen, aus dem Gruppenraum. "Wo bringst du mich hin?" "In dein Zimmer, du kranker Sparst." Oh, er beleidigt mich. Jetzt bin ich aber böse. Bei meiner privaten Höhle angekommen, kuschele ich mich ins Bett. Ich gähne herzhaft und lache mich wegen meiner sehr unmöglichen Art in den übermannenden Schlaf.
"Francis, da du deine Patientin gestern sehr schlecht behandelt hast, könnte ich dich sofort feuern. Aber das werde ich nicht. Stattdessen wirst du jetzt zu Jody gehen und ihr die fröhliche Botschaft übermitteln. Beeile dich, du hast heute einen ganzen Haufen Arbeit." Das erste was ich höre, ist die Stimme des Möchtegern-Pfarrers vor meiner Zimmertür. Ich spitze meine Ohren, wodurch ich ein Schnauben auf der anderen Seite der Tür wahrnehmen kann. Da draußen liebt jemand seine Arbeit wortwörtlich. Jemand, höchst wahrscheinlich Francis, klopft an die kleine Holztür. Ich setze mich auf und krächze ein "Herein". Ein gestresst wirkender, junger Mann - Francis - tritt herein. Das Absurde daran: Ich habe ewig Zeit. Bestenfalls bis zu meinem unausweichlichen Tod kann ich ihn von seiner Arbeit abhalten. Rache ist sauer, da mir Süßes nicht sonderlich gut bekommt.
"Hier ist der Ausweis zur Freistellung deiner Wenigkeit. Pack deine Sachen und geh zum Empfang. Dort werden sie dich in dein neues Leben einweisen und dich auf die Außenwelt vorbereiten. Viel Spaß mit deiner Zukunft in Freiheit." Was soll ich denn mit der Zukunft für einen Spaß haben? "Warte...", doch er ist schon verschwunden. Soviel zum Thema Freundlichkeit. Ich sehe mir das Dokument näher an und erkenne die Unterschriften der Vorstände. Ich stelle mir nur eine Frage: Warum? Warum jetzt? Warum werde ich jetzt entlassen? Tausend Fragen schießen mir durch den Kopf. Doch ich befolge seine Anweisung, meine Sachen zu packen. Vielleicht war es nur ein schlechter Scherz? Aber sie können das Dokument nicht gefälscht haben, da erstens buchstäblich mein Name draufsteht und zweitens es abgestempelt ist. Ein dicker roter Abdruck.
Ich stehe vor der abgesicherten Tür zum Empfang und bitte um Einlass. Ich halte das wichtige Stück Papier in die Linse der Sicherheitskamera und warte auf das Brummen der Sicherung. Der Zugang wird mir gewährt und ich stehe vor dem Tresen der Empfangsdame.
"Lange nicht mehr gesehen, Jody. Wie geht es dir?" Nur ein Gedanke: Zu fröhlich für eine Arbeiterin in der achten Klinik. Hoffentlich erwartet sie auf ihre dumme Frage keine Antwort. "So wortkarg wie damals. Übergehen wir eben die Begrüßungsfloskeln und kommen zum Thema." Oh ja, sie nimmt definitiv Beruhigungstabletten. "Ich habe die Ehre, dich in dein neues Leben einzuführen. Das bedeutet so viel wie eine Wohnung oder ein Haus, je nachdem wie großzügig der Staat ist, und ein mehr oder weniger gefüllter Kühlschrank. Wir haben das Jahr 2024, falls du dich nicht mehr erinnerst." Ich bin wohl die Erste, die sie einweist. "Die Daten werden gelöscht, die deine Anwesenheit hier bestätigen. Du beginnst ein völlig neues Leben. Mach es besser als dein Altes!"
Bruna, der Name auf dem angesteckten Schild, ordnet noch ein paar Dokumente in verschiedene Ordner ein und steht dann auf. "Lass uns fahren! Natürlich begleiten uns noch zwei oder drei Muckimänner. Du giltst immer noch als gefährlich. Vergiss das nicht! Erst wenn wir dich völlig entlassen haben, bist du ein normaler Bürger in Altdeutschland." Auf ins neue Leben.
Wir gehen geradewegs auf die Eingangstür zu. Dem Weg in die Freiheit. Ich bin draußen, ist mein erster Gedanke. Ein Auto mit schwarz getönten Fenstern fährt vor und einer dieser sogenannten Muckimänner öffnet die hintere Tür. Auf dem Rücksitz bin ich nun zwischen zwei übermuskulösen Männern eingequetscht, während Bruna mir, vom Vordersitz aus, über das neue Altdeutschland erzählt.
"Vor zwei Jahren haben sich die wichtigen Personen der Welt zusammen getan und über die Zukunft der Welt diskutiert. Ihr Entschluss lautete: Der dritte Weltkrieg muss ein Ende haben. Somit sind die mächtigsten Länder, wie Russland, die USA und China entmachtet worden, womit auch viele Probleme beseitigt wurden. Nur die Kriege in Nordafrika sind noch nicht vorbei. Es war ein großes Gemetzel, aber wie soll man sonst einen Haufen Verrückte aufhalten, die jeden entweder töten oder versklaven? Wenigstens haben wir jetzt Ruhe vor ihnen. Als allerletzte Sicherheitsvorkehrungen für einen langwierigen Frieden sind alle möglichen Terroristen eingesperrt worden, aber vor allem sind sie in die zehnte, elfte und zwölfte Klinik eingeliefert worden." Alles findet immer ein Ende. Egal ob ein Gutes oder Schlechtes. Alles wird zugrunde gehen, was ein Mensch angefangen hat.
Es gibt noch mehr Anstalten? "Nun denn, jetzt ist alles geregelt. So wir sind da. Los, alle Mann aussteigen." Die Schränke steigen vor mir aus und weichen nicht von meiner Seite, nicht, dass ich etwas Schlimmes vergehen würde. Es ist ein Miethaus, es sind noch mehr Familien oder Alleinstehende einquartiert. Eine Frau mit Kind sieht neugierig aus dem Fenster. Doch als sie mich in der Mitte von drei Männern sieht, verschwindet sie aus meinen Blickwinkel. Wie immer, weichen die Menschen mir aus. Ein leicht irritierendes Grinsen ziert meine Mundwinkel, das die Bewacher leicht verunsichert.Trotzdem gelange ich unversehrt und ganz in meine neue Wohnung. "Hier sind die Bedienungsanleitungen für alle technischen Geräte und deine Papiere. Im Schrank findest du Klamotten zum Anziehen und im linken Nachttischchen - neben dem Bett- liegt Geld. Bis du eine Arbeit gefunden hast, zahlt die Sozialhilfe dir deine Ausgaben bis zu Geldbeträgen von 2000€ monatlich." Ich nicke und wir verabschieden uns. Das war es also. Das war alles.
Ich durchsuche die einzelnen Möbel und Dekorationen nach Wanzen, aber finde nichts. Anscheinend ist es ihr Ernst. Es ist kein Scherz. Ich bin frei. Auch finde ich das versprochene Geld. Insgesamt eine Summe von 3450 Euro und 10 Cent. Davon könnte man gut ein Jahr leben. Außer man genießt einen höheren Standard als ich. Der Schrank ist gleich durchwühlt. Nur praxistaugliche Kleidung und ein, zwei Sommerkleider hängen an der Stange, in Kisten sind Socken und Unterwäsche in allen Farben und Formen vorhanden. Alles, was das Herz begehrt und doch nichts Besonderes. Anscheinend hat der Einrichter ein Faible für runde Sachen. Auf den Klamotten sind meistens Kreise abgebildet und in den Kissen sind Blumen in Form von fünf Kreisen eingestickt.
Nun sitze ich am runden Tisch in der kleinen Küche und weiß nichts mit mir anzufangen. Hier gibt es keine Tabletten oder Spritzen, mit denen ich mich für einen kurzen Moment von der Realität verabschieden könnte.
Tick Tack. Tick Tack. Seit zweieinhalb Stunden nehme ich nichts weiter als das Tick Tack der Uhr wahr. Langsam treiben mich diese monotonen Geräusche in den Wahnsinn. Eine Abwechslung muss her! Euphorisch schwinge ich mich auf die Füße und werfe dabei den Stuhl um. Trotz meiner Angewohnheit stets alles perfekt geordnet zu haben, siegt letztendlich meine Abenteuerlust. Ich blicke aus dem Fenster und sehe die Sonne in der zentralsten Lage. Kurz in den Spiegel gesehen und ich befinde mein Outfit für annehmbar. Voller Elan reiße ich die Tür auf und eile schnellen Schrittes die Treppe hinab. Niemals hätte ich erwartet, was ich in den nächsten Monaten erleben werde.
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